Rechtsprechung

Urteil: Kostenfreiheit; Maßgeblicher Zeitpunkt; Rettung Aus Lebensgefahr

VG Kassel vom 05.10.2000, Az. 6 G 1937/00

Über den ursprünglich gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Gebührenbescheid der Antragsgegnerin vom 08.02.2000 anzuordnen, ist nicht mehr zu entscheiden, nachdem die Antragsgegnerin diesen Bescheid ersetzt hat durch den Abänderungsbescheid vom 16.08.2000 und die Beteiligten in Höhe des Differenzbetrages der beiden Bescheide die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Der nunmehr gestellte Antrag (sinngemäß), die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 16.08.2000 anzuordnen, kann keinen Erfolg haben.

Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides und es ist auch nicht zu erkennen, dass die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 3 VwGO). Zwischen den Beteiligten ist strittig allein die Frage, ob im vorliegenden Fall § 61 Abs. 5 des Hessischen Gesetzes über den Brandschutz, die allgemeine Hilfe und den Katastrophenschutz (HBKG) der Gebührenanforderung entgegensteht, wonach für die Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr weder Gebühren noch Ersatz von Auslagen gefordert werden dürfen. Die Antragstellerin meint, die Vorschrift sei anzuwenden, weil für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale abzustellen sei auf den Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr und zu diesem Zeitpunkt von Lebensgefahr auszugehen bzw. noch nicht zu erkennen gewesen sei, dass tatsächlich keine Lebensgefahr vorgelegen habe und die Antragstellerin glücklicherweise nur leicht verletzt gewesen sei. Dieser Auffassung vermag die Kammer nicht zu folgen. § 61 Abs. 5 HBKG ist vorliegend nicht anzuwenden, weil tatsächlich zum Zeitpunkt des Feuerwehreinsatzes kein Fall der Rettung aus akuter Lebensgefahr gegeben war, vielmehr die Antragstellerin bei dem Unfall weder lebensgefährlich verletzt worden war noch eine andere Lebensgefährdung - etwa durch die Gefahr einer Explosion - vorgelegen hat. Die Auffassung der Antragstellerin, es sei auf den Zeitpunkt der Alarmierung abzustellen, findet im Gesetz keine Stütze. Der Wortlaut der Vorschrift spricht gegen diese Sichtweise. Die Formulierung “für die Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr” legt die Annahme nahe, dass damit die erfolgte Rettung von Menschen aus Lebensgefahr gemeint ist. Wenn dagegen auf eine Prognose zum Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr hätte abgestellt werden sollen, wäre eine Formulierung etwa in dem Sinne zu erwarten gewesen, dass eine Gebührenforderung ausgeschlossen ist, wenn die Feuerwehr alarmiert wird, um Menschen aus akuter Lebensgefahr zu retten. Weiter spricht auch der systematische Aufbau der Vorschrift des § 61 HBKG gegen die Auffassung der Antragstellerin. Nach § 61 Abs. 3 HBKG ist der Regelfall die Gebührenpflichtigkeit des Feuerwehreinsatzes in Fällen der allgemeinen Hilfe. § 61 Abs. 5 HBKG stellt die Ausnahme dar. Da jedoch zum Zeitpunkt der Alarmierung der Feuerwehr oft noch nicht übersehen werden kann, ob tatsächlich Lebensgefahr für Menschen vorliegt und die Feuerwehr sich deshalb auch mit der Auswahl ihrer Einsatzgeräte sozusagen immer auf den schlimmsten Fall einstellen muss, würde die Maßgeblichkeit der Sichtweise zum Zeitpunkt der Alarmierung dazu führen, dass entgegen der für den Regelfall normierten Gebührenpflicht die Gebührenfreiheit nach § 61 Abs. 5 HBKG in vielen Fällen eingreifen würde, ohne dass tatsächlich eine Rettung aus Lebensgefahr erfolgt. Schließlich spricht auch Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, dass lediglich eine tatsächlich erfolgte Rettung aus Lebensgefahr eine Gebührenforderung der Feuerwehr ausschließt. Hinter der Regelung in § 61 Abs. 5 HBKG steht der Gedanke, daß die Rettung von Menschen aus Lebensgefahr eine allgemeine Bürgerpflicht ist, die jeder Bürger - und somit auch die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren - zu erfüllen hat und daß für die Erfüllung dieser selbstverständlichen und grundlegenden humanitären Pflicht kein Geld verlangt werden darf. Die Feuerwehr hat demgegenüber gemäß § 6 Abs. 1 HBKG die weitergehende Aufgabe, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen durch Brände, Explosionen, Unfälle oder andere Notlagen drohende Gefahren für Leben, Gesundheit, Umwelt oder Sachen abzuwenden. Diese Aufgabenerfüllung ist vom Gesetzgeber im Rahmen des § 61 HBKG als kostenpflichtig ausgestaltet worden. Von dem Gedanken der Kostenfreiheit nach § 61 Abs. 5 HBKG ist hiernach nicht mehr getragen ein Feuerwehreinsatz, der nach einem Unfall im Rahmen der allgemeinen Hilfe erfolgt und bei dem nicht tatsächlich die Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr geleistet wird. Denn die Alarmierung der Feuerwehr nach einem Unfall zu einer ihr obliegenden Hilfeleistung erfolgt unabhängig davon, ob dann tatsächlich die Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr notwendig wird. Zwar muß die Feuerwehr bei der Wahl ihrer Einsatzmittel auch mit diesem Fall rechnen, der Gedanke des § 61 Abs. 5 HBKG kommt jedoch erst dann zum Zuge, wenn eine Rettung aus Lebensgefahr tatsächlich erfolgt ist. Auch der Höhe nach erscheint der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Abänderungsbescheides rechtmäßig. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß Gebührenpositionen zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sind. Die Kostenentscheidung für das gerichtliche Verfahren folgt aus §§ 161 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Im Umfang der Hauptsacheerledigung, die ein Sechstel des gesamten Streitwertes ausmacht, hat die Antragsgegnerin die Kosten zu tragen, weil sie insoweit ihren ursprünglichen Bescheid abgeändert hat. Im Übrigen ist die Antragstellerin mit ihrem Antrag unterlegen. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 13, 20 GKG, wobei die Kammer in ständiger Rechtsprechung bei einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Drittel des anzunehmenden Hauptsachestreitwertes zugrunde legt.